
Levan Chogoshvili: Destroyed Aristocracy Series, 1989, Tempera auf Papier, Courtesy the Artist, Foto: Urs Meier
Die Kunsthalle Zürich zeigt die bisher grösste Einzelausstellung von Levan Chogoshvili (*1953), der in Tbilissi lebt und zu den wichtigsten georgischen Künstlern seiner Generation zählt. Kernthema seiner Kunst ist die immer wieder unterdrückte kulturelle Identität Georgiens, die auch heute akut auf dem Spiel steht.
Mit seiner Serie «Zerstörte Aristokratie» hat Chogoshvili einen Bildtypus geschaffen, der Elemente der historischen Dokumentation in eine aktuelle, im georgischen Kontext ihrer Entstehungszeit gar avantgardistische Form gebracht hat. Was hier «Aristokratie» heisst, war nicht nur Adel im engeren Sinn, sondern generell die Schicht der Gebildeten: Intellektuelle, Offiziere, Geistliche, Industrielle. Nicht nur sie waren unter der Sowjetherrschaft bedroht, sondern allgemein die sich der Gleichschaltung Widersetzenden wie etwa Bäuerinnen und Bauern, Menschen in den Bergen, Mitglieder der polnischen oder deutschen Diaspora und andere.
Georgien erlebte zwischen 1918 und 1921 ein kurzes Aufblühen als unabhängiger demokratischer Staat mit Ansätzen einer kulturellen Modernisierung. Doch die Rote Armee würgte diese Öffnung rigoros ab, indem sie das Land besetzte und zwangsweise in die Sowjetunion eingliederte. 1924 kam es zu einem Aufstand gegen die Sowjetisierung, der sofort blutig niedergeschlagen wurde. Chogoshvilis Grossvater, der Arzt in Westgeorgien war, wurde als einer der Ersten hingerichtet. Wie ihm erging es einem Grossteil der Gebildeten und weiterer Bevölkerungsgruppen, die sich der Kollektivierung widersetzten.
Bis in die 1970er Jahre blieb Georgien fast vollständig abgeschottet. Ein Austausch mit westlicher Kunst und Kultur war nur in rudimentärer Form möglich. Trotzdem begannen georgische Künstlerinnen und Künstler, sich vom verordneten «Sozialistischen Realismus» zu distanzieren und im Untergrund etwas Neues zu machen. Chogoshvili schildert in persönlicher Rückschau die Konflikte mit der Kunstakademie. Für das Diplom sollte er ein Abschlussbild abliefern, für das ihm als zugelassene Motive zur Verfügung standen: 1. Soldat, der in den Krieg zieht, 2. Soldat, der siegreich aus dem Krieg heimkehrt, 3. Arbeiter in einer metallverarbeitenden Fabrik, 4. Bauern mit Kühen, 5. Bäuerinnen mit Ziegen. Chogoshvili erzählt, er habe stattdessen georgische Helden aus der Zeit der Türkenkriege in ihren traditionellen Gewändern vorgeschlagen. Das sei ihm jedoch verboten worden, weil die langen Kleider der Männer den Kunstrichtern als homosexuell galten.
Die jungen georgischen Kunstschaffenden bekamen um 1970 selbstverständlich mit, dass in verschiedenen Teilen des Sowjet-Imperiums sich kulturelle und politische Widerstände gegen die Parteidiktatur regten. Um dem herrschenden Kunstdiktat zu entgehen, arbeiteten sie heimlich und stellten ihre Werke in Privatwohnungen aus. Levan Chogoshvili begann seine Serie «Zerstörte Aristokratie» zu entwickeln. Ausgangsmaterial waren heimlich aufbewahrte Familienbilder aus der Zeit vor der Sowjetisierung Georgiens. Deren Besitz war streng verboten, weil sie als Beweise für die grossflächigen Tötungen von Oppositionellen dienen konnten und weil sie die Zeit der georgischen Unabhängigkeit evozierten, in der eine andere Kultur und ein anderer Alltag herrschten als unter dem Sowjetregime.

Levan Chogoshvili: Destroyed Aristocracy Series, 1977, Aquarell, Tusche auf Papier, Courtesy the Artist, Foto: Urs Meier
Chogoshvili sammelte diese offiziell verpönten und für ihre Besitzer gefährlichen Foto-Dokumente, malte sie ab und komponierte die so entstehenden Figuren und Fragmente zu ausdrucksstarken Bildern, in denen die Zeugen der vernichteten Kultur teils halb verborgen sind, teils in eindrücklichen Gestalten souverän in Erscheinung treten. Beides evoziert das Verschwundene. Einmal muss es in den aus vielen Überlagerungen geschichteten Bildern gesucht werden, dann wieder zeigt es sich, verkörpert in charaktervollen Figuren, in der unverhofften Präsenz eines persönlichen Gegenübers. Die Serie «Zerstörte Aristokratie» entreisst die unter dem sowjetischen Joch ausgetilgte georgische Kultur dem Vergessen, und sie macht mit ihrer Malweise wie auch mit der eigenen Entstehungsgeschichte die Gewaltsamkeit sichtbar, mit der diese nationale Identität damals unterdrückt wurde.
Der Rückblick auf das Verlorene ist in dem Sinne nicht Nostalgie, als er auch die Erinnerung an die Modernität bewahrt, die in der kurzen Phase der georgischen Unabhängigkeit auf Kultur und Kunst einwirkte. Viele der Figuren sind karikiert. Da ist kein Schwelgen in «grosser» Vergangenheit, keine Idealisierung. Das Erinnerte ist keine total andere Welt als die doch ziemlich schäbige Gegenwart, aber diese Welt durfte georgisch sein und war mit sich im Reinen.

Levan Chogoshvili: Destroyed Aristocracy Series, 2016, Siebdruck, Tempera auf Leinwand, Courtesy the Artist, Foto: Urs Meier
Wichtig an der heraufbeschworenen Zeit der georgischen Identität war für die jungen Künstler das Echo der europäischen Avantgarde, das in ihr widerhallte. Chogoshvili fängt es ein in seinen Bildtafeln, aber auch in Experimenten mit Fotografie und Video. Manche Gestalten auf den Bildern zeigen die Eleganz und Lässigkeit von Modezeichnungen, auch wenn sie historische Figuren und Rollen darstellen. Stilistisch ist die Malerei Chogoshvilis kongruent mit seinem programmatischen Ansatz der Öffnung zur europäisch-westlichen Moderne und der gleichzeitigen Verwurzelung in georgischen Kunsttraditionen. So finden sich bei ihm ornamentale Motive, freie Farbfeldkompositionen und figürliche Sujets auf Bildtafeln oder Stoffbahnen, die nicht bloss als Malgrund dienen, sondern auch als Objekte die Aufmerksamkeit des Betrachters suchen – was eine ganz und gar moderne Auffassung des Künstlers verrät.
Die Geschichte von Unterwerfung und Freiheitskampf ist in Georgien weiter in vollem Gang. Seit seiner erneuten Unabhängigkeit im Jahr 1990 – noch vor der Auflösung der Sowjetunion – durchlebt das Land eine dramatische Periode, die seit dem Machtantritt Putins unter wachsendem Einfluss Russlands steht. 2008 provozierte Georgien mit seinem unbedachten Angriff auf das abtrünnige Territorium Südossetien die Russen zum militärischen Eingreifen. Dieser kurze Kaukasuskrieg endete mit der Abtrennung Südossetiens und Abchasiens von Georgien und deren faktischer Angliederung an Russland. Als Folge der anschliessenden innenpolitischen Wirren ist Georgien tief gespalten in einen nach Europa und einen nach Russland orientierten Bevölkerungsteil. Die zurzeit regierende russlandfreundliche Partei «Georgischer Traum» befindet sich auf einem politischen Pfad der Angleichung an russische Verhältnisse. Für Leute wie Levan Chogoshvili bedeutet dies einen Rückfall in einen überwunden geglaubten Autoritarismus.
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