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N-, M-, I- und Z-Wörter

Rassismus gehört bekämpft, das sei hier als Konsens vorausgesetzt. Doch dient es diesem Kampf, wenn als herabsetzend empfundene Wörter generell verboten und durch Platzhalter ersetzt werden? Und sollen auch kulturelle Zeugen der Vergangenheit vor ein Rassismustribunal gestellt werden?

Die Stadt Zürich besitzt in der Altstadt ein Haus, das «Zum Mohrenkopf» heisst. Dessen gut sichtbare Gebäudeinschrift will die Stadtregierung schonend abdecken lassen – schonend für das Haus, das nicht beschädigt, und schonend für die vorbeispazierenden Leute, die nicht rassistisch irritiert werden sollten. 

 

In der Altstadt Zürichs gibt es vier Häuser, in deren Name «Mohr» vorkommt. Eine Initiative von Betroffenen sowie eine städtische Beratungsgruppe haben die Stadtregierung dazu veranlasst, diesem angeblichen «Rassismus im öffentlichen Raum» den Kampf anzusagen. An zwei städtischen Gebäuden sollen Inschriften abgedeckt und Informationstafeln angebracht werden. Ausserdem fordert die Stadt private Hauseigentümer, an deren Gebäuden solche Namen stehen, dazu auf, ein Gleiches zu tun. Doch dieses Vorhaben ist vom Heimatschutz einstweilen gerichtlich gestoppt worden. Der Stadt ist aber ihre denkmalpflegerische Rassismusbekämpfung so wichtig, dass sie die Sache an die nächste Instanz weiterzieht. Man darf gespannt sein.

 

Ob es um N-, M-, I- oder Z-Wörter geht, die Begründung der angestrebten Ächtung ist stets gleich. Entscheidend dafür, ein Wort aus dem Sprachgebrauch verbannen zu wollen, ist nicht Semantik, nicht historische Herkunft und ursprüngliche Bedeutung. Massgebend allein ist die gegenwärtige Wirkung auf Betroffene. Gleiches gilt für Bildwerke wie Fassadenmalereien oder Skulpturen: Können sie als Illustration der inkriminierten Begriffe gelesen werden, so unterliegen sie dem gleichen Bann. Betroffen sind in Zürich etwa Werbemalereien aus dem frühen 20. Jahrhundert, in einem Fall sogar von einem guten Künstler. Ein Warenhaus und eine Bäckerei griffen zu stereotypen Exotik-Markern, um ihre Produkte verkaufsfördernd zu präsentieren. Heute fallen die Bilder unter gestrengen Rassismusverdacht.

 

Nun sind mit den geächteten Wörtern und Bildern für Betroffene zweifellos Erfahrungen der Diskriminierung verbunden. Dass Schwarze heute nicht «Neger» oder «Mohr» genannt werden wollen, ist selbstverständlich zu respektieren. Auch sind Angehörige der First Nations aus begreiflichen Gründen gegen das Wort «Indianer» und Roma gegen «Zigeuner» allergisch. Verletzende Bezeichnungen und Symbole in der heutigen Sprache nicht als Attribute der Betroffenen weiter zu verwenden, ist eine Frage des Respekts und der Höflichkeit. 

 

Doch die Forderungen aus Kreisen Betroffener gehen längst viel weiter. Sowohl Aktivistengruppen wie politische Gremien verschreiben sich einem generellen Verbot diskriminierender Begriffe, das auch deren Nennung etwa in Beschreibungen von Diskriminierungen oder in historischen Kontexten skandalisiert. «Neger» war einst eine nicht eo ipso diskriminierende Bezeichnung; sie wurde mindestens bis in die 1960er-Jahre auch von Schwarzen verwendet. Doch gerade das Wort «Neger» ist heute in einer Weise tabuisiert, die an die abergläubische Scheu vor dem Wort «Teufel» oder auch an das prüde Zurückschrecken vor der Vokabel «Unterhosen» erinnert – man sprach von beiden als den «Unaussprechlichen». Die N-, M-, I-, und Z-Wörter sind die heutigen Unaussprechlichen.

 

Die neue Sprachprüderie erfasst zunehmend auch den Kanon der abendländisch-westlichen Kultur. Aktivistinnen und Aktivisten machen Druck für eine rückwirkende Säuberung von Sprache und kulturellen Zeichen. Darf Shakespeares Othello noch aufgeführt werden? (Es wird ernsthaft darum gestritten.) Müssen Bücher, in denen «Neger» oder «Indianer» vorkommen, umgeschrieben werden? (Es geschieht bereits.) Oder könnten Triggerwarnungen und distanzierende Kontextualisierungen allenfalls ausreichen, um potentiell Betroffene zu schützen? (Sie entsprechen einer neuen Normalität.) Die Auseinandersetzungen schlagen hohe Wellen. Einigung ist nicht in Sicht.

 

Antirassistisch engagierte Kreise scheinen mit ihren Zensurforderungen wachsende Zustimmung zu finden. Das für sie nicht Zumutbare soll ganz aus dem Verkehr gezogen oder zumindest aus kulturellen Kanons wie schulischen Lektürelisten entfernt werden. In der deutschen Tagesschau wurde kürzlich eine Gymnasiallehrerin – eine junge Person of Color – vorgestellt, die mit Eingaben an Behörden versucht, den Roman «Tauben im Gras» von Wolfgang Koeppen als Pflichtlektüre zu kippen. Sie zeigte der Kamera ihr Exemplar des Buches, in welchem Sie die Vokabel «Neger» überall rot angestrichen hat, und erklärte unter Tränen, man könne von ihr nicht verlangen, solche Literatur in ihrem Unterricht zu behandeln. Der 1951 erschienene Roman gilt als wichtiges Werk der deutschen Nachkriegsliteratur. Eine rassistische Tendenz wird man ihm schwerlich unterstellen können. Doch das interessiert die Deutschlehrerin augenscheinlich gar nicht. Sie fühlt sich betroffen; das ist ihr Argument gegen das Buch.

 

Den kulturellen Säuberungsbestrebungen, die rückwirkend die inkriminierten N-, M-, I- und Z-Wörter mit antirassistischem Bann belegen wollen, beruhen auf Haltungen, die ich hier versuchsweise als Präsentismus und Viktimismus bezeichne. Präsentismus nenne ich eine Sichtweise, in der alle Kulturbestände eindimensional als Gegenwartsaussagen aufgefasst sind. Durch ihr Vorhandensein im Jetzt sind sie von ihrer geschichtlichen und kulturellen Herkunft abgeschnitten. Woher sie kommen und was sie ursprünglich bedeutet haben, ist nicht von Belang.

 

So konnte ein Aktivist in Zürich erklären, er habe keine Lust, sich von einer Hauswand herunter rassistisch beleidigen zu lassen – und forderte mit dieser Begründung die Entfernung einer Inschrift, die zu einer Zeit angebracht wurde, als wahrscheinlich noch keine People of Color durch die Gassen der Altstadt spazierten. Das Wort «Mohr», das ihn stört, ist nicht rassistischen Ursprungs, sondern dürfte auf den heiligen Mauritius zurückgehen. Ähnlich wie die Deutschlehrerin, die «Tauben im Gras» nicht behandeln will, foutiert er sich jedoch um ein historisches Verständnis. Für die präsentistische Sichtweise gilt: Die Inschrift und der Roman reden in der Jetztzeit und sind daher allein an gesellschaftlichen Bedingungen der Gegenwart zu messen. Eine dieser Bedingungen lautet: Niemand soll sich rassistisch herabgesetzt fühlen. Und damit auf's Engste verbunden: Was Rassismus ist, entscheiden allein die sich betroffen Fühlenden.

 

Dieser Präsentismus merzt die Dimension des Historischen aus dem Denken aus. Er übergeht zu schnell die Fremdheit des Vergangenen und meint umstandslos zu durchschauen, was doch in geduldiger Arbeit erst entschlüsselt werden müsste. Präsentismus verweigert sich dieser intellektuellen Anstrengung. Er praktiziert ein abgekürztes Denken, das zu Schein-Plausibilitäten führt. Dessen Überzeugungskraft beruht auf einer Moral, die keine Argumente braucht, weil sie immer schon klar ist: Wer das Wort «Mohr» gebraucht oder in Gebrauch lässt, macht sich des Rassismus schuldig.

 

Das zweite Merkmal des aktivistischen Diskurses nenne ich Viktimismus. Menschen, die rassistische Herabsetzung und Ausgrenzung erfahren, sind begreiflicherweise empfindlich gegen alles, was daran erinnert. Sie sollen nicht für ihre Sensibilität kritisiert werden. Wenn ich in diesem Zusammenhang von Viktimismus rede, meine ich einen Diskurs, der den Opferstatus für jede Erfahrung von Benachteiligung zum Normalfall macht und der daraus bestimmte moralische Forderungen an die Allgemeinheit ableitet, seien es sprachliche No-Gos oder eine Zensur kultureller Bestände.

 

Solcher Viktimismus sorgt für simple Eindeutigkeiten, wo oftmals nur Scheinklarheit vorliegt. Das Beleidigt- und Betroffensein der Aktivistinnen und Aktivisten setzt jeden Versuch einer historischen Einordnung und jede differenzierende Betrachtungsweise ins moralische Unrecht. Für den Viktimismus gibt es nur den Rassismus und dessen Opfer. Sobald das Thema aufkommt, ist der Fall klar. Jedes als rassistisch markierte Vorkommnis aktiviert den Skandal des Rassismus mit seiner niederschmetternden Wucht. Da gibt es nichts weiter zu verstehen. Nicht nur Zürich tendiert mittlerweile politisch dahin, diesem aktivistischen Opferdiskurs freie Bahn zu verschaffen.

 

Was da so vehement als einzig legitimer Umgang mit den Phänomenen rassischer und anderer Diskriminierung propagiert wird, läuft auf einen politischen Moralismus hinaus, auf die aggressive Separierung eines Wir von allen Anderen. Die Opferrolle, mittlerweile in identitätspolitischen Debatten der dominante Gesichtspunkt, hat den Vorteil der einfach zu erlangenden moralischen Klarheit. Die Fronten sind begradigt, man kann sich einreihen in die grosse Gemeinschaft der Erniedrigten und Beleidigten. Der Nachteil: Solcher Viktimismus verunmöglicht und verbietet jeden Perspektivenwechsel. Er bedeutet eine Fixierung der Konfliktkonstellation, nicht zuletzt durch die moralische Überlegenheit der Opferposition und die Dämonisierung der Rassisten.

 

Eine andere Haltung wäre es es, auf rassistische Ereignisse und Haltungen aufmerksam zu machen, um diese zu analysieren, zu kritisieren und blosszustellen, ohne jedoch zwingend eigenes Leiden in den Vordergrund zu stellen. Wer so agiert, verzichtet auf den Opferbonus, gewinnt aber dafür eine Perspektive auf das grössere Bild: die Konfliktzonen zwischen Rassisten und rassistisch Ausgegrenzten, die Ursachen des Übels, die versteckten Interessen hinter den rassistischen Haltungen.

 

Ein Canceling historischer Zeugen rassistischer oder heute rassistisch erscheinender Haltungen ist eigentlich nichts anderes als eine präsentistische und viktimistische Pseudo-Lösung. Sie zieht überdies eine breite Schleppe von Kollateralschäden hinter sich her. Einordnende Informationen hingegen wie Hinweis-Plaketten an Gebäuden und bei Artefakten sowie Einleitungen zu Texten und Aufführungen sind gute Möglichkeiten, das grössere Bild zu skizzieren. Es kann zu einem nicht-moralistischen, einem historischen und damit auch politischen Verstehen verhelfen.

 

Nachbemerkung: Der Autor ist ein alter weisser Mann. Er kennt Rassismus nicht aus eigenem Erleben, und er ist sich im Klaren, dass Betroffene eine andere Sicht haben können – und vielleicht auch müssen. Dies respektierend, ist er dennoch der Meinung, die obigen Überlegungen sollten in Diskussionen und Aktionen zur Überwindung von Rassismus mitbedacht werden.

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