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Unwillkommene Anerkennung

Die offizielle Anerkennung von Religionen ist im weltanschaulich neutralen Staat immer heikel – und zwar für die Religionen genauso wie für den Staat. Aus religiöser Sicht kann man geteilter Meinung sein, ob die damit verbundene Privilegierung überhaupt wünschbar sei. Die Vorrechte – zum Beispiel der Steuerfinanzierung – bekommen Religionsgemeinschaften nämlich nur unter der Bedingung, dass sie sich bestimmten gesetzlichen Kriterien unterziehen. Dazu zählen demokratische Binnenstrukturen und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Staat. Wie die von der Führung des Bistums Chur angezettelten Diskussionen zeigen, wollen Exponenten eines konservativen Katholizismus diesen Preis für eine staatliche Anerkennung eigentlich lieber nicht bezahlen.

 

Politisch eckt die gegenwärtige Anerkennungspraxis an, weil sie verschiedene Kategorien von Religionen schafft, was dem neutralen Staat ja eigentlich nicht zusteht. Man kann das Problem grundsätzlich entweder durch Verzicht auf Anerkennung oder durch deren Ausweitung auf alle gesellschaftlich relevanten Religionsgemeinschaften beseitigen. Die erste Lösung ist zurzeit offensichtlich – verschiedene Abstimmungen aus jüngerer Zeit zeigen es – nicht mehrheitsfähig. Die zweite ist es bis jetzt auch nicht, wird aber trotzdem immer mal wieder und seit kurzem vermehrt diskutiert.

 

Aktuell liegt der Vorschlag einer Anerkennung des Islam auf dem Tisch. Den Promotoren geht es dabei nicht allein um die Aufhebung einer stossenden Ungleichbehandlung. Sie hoffen mit einem solchen Schritt auch Anreize zu schaffen für die Förderung einer pluralismus- und demokratiefähigen Form des Islam. Ein starkes Argument hiefür gibt ihnen eine historische Analogie in die Hand: Die besondere Ausprägung des Schweizer Katholizismus mit seinen demokratischen staatskirchenrechtlichen Strukturen, welche die römische Hierarchie in wesentlichen Belangen „zähmen“, ist nicht zuletzt ein Erfolg solcher Anerkennungspraxis. Die Frage ist nun aber: Kann eine solche staatliche Zähmung auch beim Islam gelingen.

 

In seinem grossen Memoirenbuch „Aufleuchtende Details“ erzählt der Schriftsteller Péter Nádas von seinem Urgrossvater und dessen Bruder, die als liberale Juden für ihre Glaubensgemeinschaft im ungarisch-siebenbürgischen Königreich eine Rechtsgrundlage zum Zweck der politischen Gleichstellung ausarbeiteten. Dieses Statut wurde im Dezember 1868 vom Kongress angenommen, der Regierung vorgelegt und anschliessend vom König genehmigt. Doch ein grosser Teil der orthodoxen Juden lehnte das Statut ab. – Der Anlauf zur politischen Emanzipation der Juden war an deren eigenem Widerstand gescheitert.

 

Nádas schreibt: „Die Idee der politischen Gleichheit beschäftigte die orthodoxen Glaubensgemeinschaften nicht, auch nicht die zu verschiedenen orthodoxen religiösen Bewegungen gehörenden Einwanderer, genauso wenig die einheimischen Orthodoxen, die eine solche Repräsentanz nicht wünschten. Sie wünschten nicht einmal zu wissen, was das war, politische Repräsentanz. Sie waren um Rabbis geschart, ihre Religion war rabbinisch, und damit war für sie die Angelegenheit erledigt. Den Freisinn verwarfen sie als eine schreckliche Sünde. Die Regierung war später gezwungen, in einer Verordnung ihren Spezialstatus anzuerkennen. Was immer mein Urgrossvater und sein Bruder sich im Namen der Einheitlichkeit, im Namen der gleichberechtigten politischen Repräsentanz auch erhofft hatten, es gab keine Einheit, denn die Bevölkerung jüdischen Glaubens war in religiösen Fragen uneins. (…) 

 

Leute wie mein Urgrossvater waren liberal, weil sie wussten, dass der Traditionalismus die politisch regulierte Strömung des Lebens wie ein Damm aufhalten wollte, und das war es, wogegen sie kämpften. Ihr weltliches Leben orientierte sich am gesellschaftlichen Fortschritt, am Prinzip des Fortschritts, am liberalen Gedankengut, nicht an der Religion. Für sie verkörperte ihre Religion nicht das Ganze, sondern war nur ein ihnen anvertrauter Teil des Ganzen. Das ist ein grosser Unterschied. Aus dem einen folgt religiöse Toleranz, aus dem anderen Gleichgültigkeit und Intoleranz. An diesem historischen Unterschied lag es, dass sie sich nicht verstanden. Die Liberalen waren der Aufklärung verpflichtet, der Urbanität, der Wissenschaftlichkeit, der Mehrsprachigkeit, dem Hegel’schen idealen Verlauf der Geschichte, der Empirie, der sachlichen Betrachtung der Dinge, den Interessen des Handels, der industriellen Revolution, der grossen liberalen Wende in der europäischen Geschichte, den von Locke und Montesquieu formulierten Begriffen von Individuum und Gemeinwohl und nicht den Weisheiten der örtlichen Rabbiner.“

 

Was 1868 in Ungarn geschah, braucht sich im 21. Jahrhundert in der Schweiz selbstverständlich nicht zu wiederholen. Die Erinnerung an dieses „aufleuchtende Detail“ der Familiengeschichte von Péter Nádas sollte aber den Blick schärfen dafür, dass der in islamischen Milieus seit einiger Zeit erstarkende Fundamentalismus den wohlmeinenden Anerkennungsvorhaben einige bis jetzt zu wenig bedachte Schwierigkeiten in den Weg legen könnte.

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