Erinnerungen an «TransAtlantik» (1980 bis 1991)
Das Beste an dieser Zeitschrift war ihr Name. Und das will etwas heissen, denn gut waren auch viele ihrer Texte, herausragend waren die Rubriken am Anfang und am Ende, und grossartig waren Grafik und Layout. Jede Ausgabe tat die Ambition kund, die Erwartungen eines verwöhnten Publikums zu überbieten und zu unterlaufen. Aber der Reihe nach!
Sich für «TransAtlantik» zu begeistern, war ein elitäres Vergnügen, das ausdauernde und bewanderte Leser voraussetzte. Dabei konnte ich an den verstandenen Anspielungen und erkannten Bezügen erahnen, über was für Schätze des Beiläufigen ich unwissend hinweglas. Allemal verständlich waren hingegen der Habitus der kalten Distanz, der illusionslose Blick und der an beidem geschärfte respektlose Ton.
Als das Heft nach wenigen Jahren zu serbeln begann und schliesslich nur noch vierteljährlich herauskam, kündigte ich ihm irgendwann die Treue. Nur in der Form monatlicher Frischware hatte es zum Accessoire urbanen Lebensgefühls getaugt. Anspielungen und Zwischenrufe sind verderbliches Gut, und der Versuch, es einem wachen Publikum als dauerhafte Quartalskost schmackhaft zu machen, musste scheitern. Vieles im originären monatlichen «TransAtlantik» war mit heisser Feder geschrieben. Jede Ausgabe war ein Tanz auf dem Hochseil. Abstürze kamen vor, blieben aber ohne verunsichernde oder domestizierende Wirkung. Das Heft blieb stets wunderbar hochnäsig und hoch elegant.
Hans Magnus Enzensberger war der Gründer und – obschon nicht Mitglied der Redaktion – führende Kopf des Hefts. Schon im dritten Jahr trennte er sich von dem Projekt. Fünfzehn Jahre zuvor hatte der umtriebige Literat das «Kursbuch» mit begründet, das in den hohen Zeiten der studentischen Protestbewegungen Auflagen von über 50’000 Exemplaren erreichte. An diesen grossen Erfolg konnte Enzensberger mit «TransAtlantik» nicht anschliessen, obschon es mit seiner artistischen Unflätigkeit und seinen akribischen Enthüllungen nicht weniger treffsicher auf den Geist der Achtziger zielte als das leidenschaftliche und politisch Kurs setzende «Kursbuch» auf die Welt der Achtundsechziger.
Beide Titel bedienen sich der Metaphorik von Transportmitteln. Der erste sagt, wo es lang geht und erklärt der Gesellschaft den Tarif. Ganz anders «TransAtlantik»: Der Titel evoziert das weite Reisen, das Hinübersetzen und Übersetzen, das Erkunden fremden Terrains, sei es – wie in Beiträgen der ersten Jahre geschehen – in Hannover, L.A., Basel, Rio oder Leipzig. Daraus erklärt sich allerdings noch nicht, weshalb dieser Titel so genial ist. Der Name «TransAtlantik» steht für einen vagabundierenden metropolitanen Geist. Er grüsst hinüber zum «New Yorker», dem er nahe ist, ohne ihn zu kopieren. Ein bisschen intellektuellen Jet-Set darf man heraushören, oder ganz nach Wahl auch den Impetus der Entdeckungsfahrten am Beginn der Neuzeit.
Entsprechend dem Prinzip des Hefts macht der Titel Andeutungen, die er nicht erklärt und die man trotzdem irgendwie versteht. Aus exakt dieser hermetischen Attitüde gewann das Journal seine Anziehungskraft. Es oszillierte zwischen Schalk und Herablassung und setzte mit schnöder Selbstverständlichkeit eine komplett gebildete, rundum informierte, im Dechiffrieren von Spuren und Zitaten trainierte Leserschaft voraus.
Obschon der Ironie verschrieben, war «TransAtlantik» weit entfernt davon, eine Satire-Zeitschrift zu sein. Es ging dem Heft jede Harmlosigkeit ab, vielmehr war es zuweilen beissend sarkastisch und oft wirklich böse. Seine giftigen Traktate und Sentenzen nahmen in keiner Richtung Rücksicht. Ausgeteilt wurde links und rechts, oben und unten, hinten und vorn. Auf politisch korrekte Schonung durfte niemand hoffen. Keine Gesinnungsformation konnte diese Publikation als ihr Sprachrohr betrachten. Keine durch Interessen verbundene Gruppierung von Lesenden kam als ihr prädestiniertes Publikum in Frage. Das Heft bildete keine Fraktionen, organisierte keine Gefolgschaften. Es war einfach vorhanden, sperrig, unkalkulierbar, und es liess sich von lauter Einzelnen entdecken als schwer verdauliches, opulentes Leib-Magazin. «TransAtlantik» war ein postmodernes Produkt: geniesserisch raffiniert, durchtrieben elegant und ohne Seele.
Ohne Seele? Tatsächlich zeigte sich hinter Reportagen und Essays, Tiraden und Spielereien eine schmerzliche Illusionslosigkeit. Man betrachtete die Welt mit abgebrühtem Blick und kritisierte nicht um der Besserung, sondern des Spottes willen. Trotzdem erstarrte die erlesene Nonchalance nicht in der Todeskälte des Zynismus. Die Glut unter der Asche war zu ahnen. «TransAtlantik» litt geradezu demonstrativ am Verlust seiner Seele, der Seele engagierten Lebens, und offenbarte sich der eindringlichen Lektüre als Manifest zeitgemäss verhüllter politischer Romantik. Denn da wurde jeder Schindluder angeklagt, alle Dreistigkeit an den Pranger gestellt und jegliche Lüge entlarvt. Man wollte bloss nicht bei der Empörung ertappt werden und sich nicht die Blösse eines Hoffens auf bessere Zustände geben. Die Wut musste cool bleiben. Befriedigung verschaffte sie sich im überlegenen ästhetischen Spiel. Der Zorn trug Kostüm und Maske.
Von «TransAtlantik» erzählen heisst auch von Bildern reden. Beim Jahrzehnte späteren Betrachten der Jahrgänge war ich frappiert. Viele, ja eigentlich die meisten Grafiken begrüsste ich wie nach langer Zeit wieder getroffene Bekannte. Die Bildwelt des Hefts war ins Sediment meiner visuellen Erfahrungen gesunken. Eine Berührung genügte, um sie aufzuwirbeln.
Glanzpunkt fast jeder Nummer war die Rubrik «Fresko», meistens gestrichelt oder gepinselt von Hans Hillmann. Diesem Grafikbeitrag gehörte stets die mittlere Doppelseite. Was hier an traumwandlerischen und virtuosen Zeitbildern geschaffen wurde, verdiente eine eigene Betrachtung. Bei «TransAtlantik» spielten Text und Grafik in der gleichen Liga. Legendär auch die farbigen Titelbilder des im redaktionellen Teil sonst schwarzweissen Hefts, wenn auch, ihrem auf Verkauf gerichteten Zweck entsprechend, weniger subtil und vielschichtig als das «Fresko» im Innern.
In der Rückschau auf «TransAtlantik» hat das «Journal des Luxus und der Moden» einen besonderen Platz. Die Rubrik stand am Anfang jeder Nummer, und es fiel den Machern des Hefts nie ein zu erklären, woher dieser Titel stammt. Man musste es eben einfach wissen, oder man hatte gefälligst findig zu sein und irgendwie drauf zu kommen. Den schmucken Namen hatte eine in deutschen Salons viel gelesene Zeitschrift getragen, seit 1786 von Friedrich Justin Bertuch in Weimar herausgegeben und erschienen bis 1827. In der stark von Enzensberger inspirierten Rubrik ging es vordergründig um Intellektuellen-Klatsch, Politgrotesken, beziehungsreiche Fundsachen. Zugleich präsentierte sie von Mal zu Mal eine kunstvolle Collage, die ein Tableau der gesellschaftlichen Zustände entwarf.
Hier erlaubte sich die Redaktion auch so ausgesuchte Frechheiten wie die Verdoppelung und Veräppelung echter gerichtlich aufgebrummter Gegendarstellungen, indem sie fingierte Gerichtserlasse zu weiteren «TransAtlantik»-Beiträgen als überdrehte Dreingaben nachschob. Satirische Höchstleistungen waren auch das regelmässige kommentarlose Abdrucken von aktuellen deutschen Schlagertexten sowie Literaturkritiken in der Form von «Nacherzählungen», in denen für wichtig gehaltene Bücher gnadenlos auf ihre narrative Grundsubstanz reduziert wurden.
Mit der Novembernummer 1981 wurde die Schlussrubrik «Ventil» eingeführt, ein Podium für Publikumsbeschimpfungen der Extraklasse. Es begann mit dem furiosen und kaum erträglichen Artikel «Nichts gegen Krüppel», der schweres Geschütz auffuhr gegen eine da und dort womöglich überzogene Doktrin der unbedingten und lückenlosen Integration von Behinderten. Damit war die Benchmark gesetzt: Grundsätzlich lieber die Infamie riskieren, als nur der Geschmacklosigkeit entlang schrammen.
«Ventil» war eine Mutprobe für die Schreibenden und ein Härtetest für die Toleranz der Lesenden. Die satirischen Volltreffer waren von einer Schärfe, die selbst die nicht Getroffenen beim Lesen aufjaulen liessen und zwischen Entsetzen und Ergötzen gefangen hielten. «Nichts gegen die da drüben», eine Schilderung des DDR-Alltags war eines dieser unverschämten Stücke, und mit Beiträgen wie «Nichts gegen Feministinnen», «Nichts gegen Nachwuchs», «Nichts gegen Hundefreunde», «Nichts gegen Hausmänner» und «Nichts gegen Radfahrer» stapfte die Redaktion trittsicher und lustvoll von einem Fettnapf zum nächsten.
Doch «TransAtlantik» war, wie gesagt, kein Satire-Magazin. Viel Raum gab man stets der breit angelegten Reportage, dem gründlichen Bericht. Vorbild in diesem Genre war zweifellos «The New Yorker», und mit Jane Kramer und anderen traten in «TransAtlantik» auch Autorinnen und Autoren auf, deren Namen mit dem amerikanischen Journal verbunden sind. Überhaupt, die Namen: Beim Durchblättern der alten Nummern immer wieder das Erstaunen, wer alles für «TransAtlantik» geschrieben hat. Viele von ihnen gehören, wie Wilhelm Genazino, Irene Dische, Hanns-Josef Ortheil, Bodo Kirchhoff, Eva Demski, Christoph Ransmayr heute zum etablierten Bestand der deutschen Literaturszene. Und mit Autoren wie Gore Vidal, Bruce Chatwin, György Konrád, Joseph Brodsky, Lars Gustafsson, Italo Calvino gewann das Heft einen internationalen Horizont, der im deutschen Feuilleton ungewöhnlich war.
Zudem war das Magazin ein Experimentierlabor der publizistischen Formen. Das Heft zeugt von überbordender Kreativität. Dauernd wurden Genres revitalisiert oder erfunden, und es ist mit Händen zu greifen, mit welcher Lust sie probiert, variiert und gelegentlich auch zu Schanden geritten wurden. «TransAtlantik» war ein amphibisches Gebilde, sowohl heimisch auf dem vielfach bestellten und abgegrenzten Ackerland der politisch-kulturellen Publizistik wie auch im grenzenlosen Fluidum der sprachlich-literarischen Kreativität. Als Lyriker, Literat und politischer Essayist war Hans Magnus Enzensberger der Erfinder und Inspirator eines Produkts, in dem die Sprachwelten der Politik und der Kunst nicht bloss koexistierten, sondern miteinander redeten und stritten. Im Grunde war «TransAtlantik» das Projekt einer politischen Gesprächskultur, die Utopie einer grenzenlosen Neugier. Programmatisch war die Zeitschrift lediglich mit ihrer Hypothese, unverstelltes unbeengtes Denken habe die Anziehungs- und Bewegkraft des Eros. «Die Lustflotte steht unter Dampf.» Mit dieser Zeile seines Gedichts «Utopia» hatte Enzensberger zwei Jahrzehnte vor dem Stapellauf des «TransAtlantik» schon ein Motto für das publizistische Flaggschiff hingeworfen, so leicht, dass es auch für ein Papierschiffchen taugte.
Der hier leicht gekürzte Text erschien erstmals 2001 in der Zeitschrift «Reformatio» im Rahmen eines Themenschwerpunkts «Zeitschriften».