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Die Rache der Tattoos

Sie sind schwierig zu entfernen, die in die Haut gestochenen Symbole, Schriftzüge, Arschgeweihe. Mit Laser brauche es bis zu zehn Behandlungen, um Tattoos zum Verschwinden zu bringen. Milchsäurehaltige Injektionen zur Entfernung der nicht mehr erwünschten Farbpigmente sind offenbar noch nicht klinisch getestet, können aber angeblich Entzündungen mit Narbenbildung hervorrufen (Angaben nach Wikipedia).

 

Wer sich tätowieren lässt, weiss mindestens zwei Dinge: erstens, dass man Tätowierungen nur mit Schwierigkeiten oder gar nie wieder los wird – und zweitens, dass sowohl Moden wie Individuen und damit auch ihre geschmacklichen Präferenzen und Distinktionswünsche sich im Lauf der Zeit verändern.

 

Man könnte versucht sein, daraus den Schluss zu ziehen, auf Tattoos zu verzichten sei ein Gebot der Vernunft. Sind demnach alle Tätowierten unvernünftig? – Es ist anzunehmen, dass zumindest viele von ihnen das bestreiten würden. Vermutlich ist die Sache mit der Vernunft in diesem Fall etwas kompliziert.

 

Es wird Menschen geben, die sich tätowieren lassen mit genau der Absicht, das gestochene Zeichen oder Bild solle bleiben, für immer. Sie blenden das Wissen um die Veränderlichkeit sozialer Codes und persönlicher Vorlieben aus. Oder sie sagen sich: Mag sein, dass die Zeiten und Geschmäcker ändern; ich aber kümmere mich jetzt mal nicht darum. Punkt. Vielleicht stilisieren sie diesen Trotz gar zur persönlichen Haltung und demonstrieren mit ihren permanenten Körperschmuck Standhaftigkeit gegen den Strom der Zeit.

 

Und es wird andere Menschen geben, die sich zwar über die möglicherweise auf sie zu kommenden Schwierigkeiten mit den Tätowierungen im Klaren sind. Doch die Probleme sind ja erst mal weit weg, irgendwie werden sie sich dann schon lösen lassen. Man zeigt mit dem Tattoo die eigene Nonchalance.

 

Ein Wirbel erfasst die Lebenswelten vieler Menschen. Jobs, Beziehungen, Kontaktnetze, Wohnorte, Lebensstile, Konsumgewohnheiten sind in dauernder Veränderung. Das Tattoo kann Ausdruck eines Widerstands sein gegen diesen Sog, vielleicht auch nur Zeichen eines noch nicht völlig getilgten Wunsches nach Beständigkeit. – Das wäre die eine Erklärung, die sich auf die demonstrative Tätowierung bezieht.

 

Die andere Deutung erklärt mit dem gleichen Zeitphänomen die nonchalante Tätowierung: Der Strudel der unablässigen Veränderungen aller Lebensbereiche reisst nicht zuletzt auch das Sorgen um die Zukunft mit sich. Da man ohnehin nicht wissen kann, wie man morgen lebt, braucht man sich darüber auch keine Gedanken zu machen.

 

Man wird nicht sagen können, die demonstrative oder die nonchalante Haltung seien unvernünftig. Trotzdem: Die Tätowierungen bleiben und bereiten den meisten ihrer Trägerinnen und Träger irgendwann in der Zukunft Probleme. Die Tattoos rächen sich nachträglich gegen eine Vernunft, die gemeint hat, die Spannung von Veränderung und Dauer aufheben zu können, sei es mit demonstrativer Verleugnung des Wandels oder mit nonchalanter Missachtung des Beständigen.

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