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Welche Kunstmuseen sind entbehrlich?

Die Schweiz hat viele Kunstmuseen. Vielleicht sind es zu viele, jedenfalls gemessen an ihrer dauerhaften Finanzierbarkeit. In Winterthur wurden binnen kurzem die Sammlung Briner und Kern definitiv und die Villa Flora vorläufig geschlossen. Der Stadtrat brütet über einem Konzept für die vier noch bestehenden Kunstmuseen: Sammlung am Römerholz, Kunstmuseum Winterthur, Museum Oskar Reinhart und Villa Flora und das thematisch benachbarte Fotomuseum. Angesichts der schwierigen Finanzlage der Stadt ist es unwahrscheinlich, dass er sämtliche Häuser weiter mitfinanzieren wird. Mindestens einem der örtlichen Kunstmuseen droht deshalb das Aus. – Winterthur dürfte mit dieser Problematik in der Schweiz kaum allein sein, im europäischen Kontext schon gar nicht.

 

Die Zahl der Menschen, die solche Einrichtungen besuchen, ist bedeutend, aber überschaubar. In den Kunstmuseen sind, was nicht überrascht, mehrheitlich gut gebildete Menschen höheren Alters anzutreffen – das typische Publikum traditioneller Hochkultur-Angebote eben. Die am stärksten frequentierten Häuser der Schweiz waren 2013 die Fondation Beyeler mit 334’000 und das Kunsthaus Zürich mit 314’000 Eintritten. Die Winterthurer Kunstmuseen lagen mit ihren Besucherzahlen zwischen rund 9’000 und 20’000, das Fotomuseum brachte es auf beachtliche 50’000. 

 

Die 185 Kunstmuseen des Landes zählten insgesamt 3,9 Mio. Eintritte. Das sind 30 Prozent aller Museumsbesuche, womit die Kunstmuseen klar an der Spitze aller Museumsarten liegen. Abgesehen von der Handvoll Häuser, die als kulturelle Leuchttürme mit internationaler Anziehungskraft regelmässig grosse Kunst-Events in Szene setzen, bäckt die grosse Mehrzahl der Museen vorwiegend kleine Brötchen. Die meisten haben feste Sammlungen; nur eine Minderheit verfügt über Mittel und Einrichtungen, um wechselnde Ausstellungen zeigen zu können. 

 

Kunstmuseen sind offenkundig nicht nur stabile Säulen des traditionellen Kulturlebens, sondern die Grossen unter ihnen können Image und Strahlkraft von Städten ganz wesentlich mitbestimmen. Nicht zuletzt deshalb  werden laufend neue Museen gebaut. Oft kann die Architektur kaum spektakulär und teuer genug sein, um die neuen Häuser und mit ihnen deren Standorte in den Orbit der internationalen Kultur-Highlights zu katapultieren. Im Falle Bilbaos etwa mit dem von Gehry gebauten Guggenheim ist das spektakulär gelungen. Die Stadt an der Biskaya wurde vom Nobody zum Star. 

 

Wenn es auf europäischem Boden immer wieder neue Kunstmuseen gibt, dann kann man eigentlich Museumsschliessungen nicht à tout prix verhindern wollen. Trotzdem bleibt da eine Sorge, und die ist gar nicht so einfach zu erklären. Versuchen wir wir es!

 

Die museale Präsentation und Vermittlung von Kunst geschieht auf verschiedenen Ebenen: zuoberst diejenige der internationalen Kunst-Events, in der Schweiz exemplarisch bespielt von der Fondation Beyeler; in der Mitte die professionell geführten und bedeutende Eigenleistungen erbringenden Häuser mit primär nationaler Bekanntheit (abgesehen vom Römerholz, einer Top-Adresse für Kenner aus aller Welt); zuunterst die Museen von eher regionaler Relevanz oder solche, die ausschliesslich eine (kleine) Sammlung zeigen. Die oberste und die unterste Kategorie haben am wenigsten Probleme, denn während die grossen Museen die nötigen Mittel generieren und investieren können, sind die kleinen, vergleichsweise kostengünstigen Häuser nicht so sehr auf Erfolg angewiesen. Schwierig ist die Lage vor allem für die mittlere Kategorie. Diese Museen haben hohe Fixkosten und enge Budgets, die ihnen nur geringe Investitionen für Ausstellungen und Werbung gestatten.

 

Betrachtet man die Landschaft der Kunstmuseen betriebswirtschaftlich, so ist der Fall klar. Man muss auf der obersten Ebene wenige, dafür möglichst starke Zugpferde haben. Die unterste Ebene kann man mehr oder weniger sich selbst überlassen, da deren Häuser vergleichsweise geringen Aufwand haben und in der Regel auf lokal-regionale Loyalitäten zählen können. Auf der mittleren Ebene hingegen muss man „restrukturieren“, das heisst: Anforderungen definieren und Häuser, die diesen nicht genügen, über die Klinge springen lassen.

 

Diese betriebswirtschaftliche Sicht ist blind für die besonderen Qualitäten solcher „mittlerer“ Museen. Eine erste: Kunst ist immer viel mehr als das, was sich auf der obersten Ebene in Form von internationalen Grossereignissen – wie jetzt eben die Gauguin-Ausstellung bei Beyeler – abhandeln lässt. Mehr noch: Gauguins Bilder lassen sich gar nicht verstehen ohne den Bezug zur europäischen Malerei von der Gotik bis zu seiner Zeit. Und darstellende Kunst wirklich erleben und erfassen kann man nur in der Begegnung mit den Originalen, mit ausgestellten, kundig präsentierten Originalen. Die Kunst braucht Präsenz in geografischer Breite und historischer Tiefe, um lebendig bleiben und sich weiterentwickeln zu können, und zwar braucht sie das genauso bei (angehenden) Kunstschaffenden wie bei allen, die ein Verständnis der bildenden Kunst erreichen wollen. Diese Vermittlungsleistung erbringen mangels ausreichender Sammlungen nicht die „kleinen“ Häuser der untersten Ebene. Genauso können auch die internationalen Top-Museen diese Funktion nicht erfüllen. Dazu gibt es schlicht nicht genug von ihnen. Es sind die Kunstmuseen der mittleren Ebene, die diese Verbindung zur ganzen Welt der Kunst aufrechterhalten.

 

Eine zweite bedrohte Qualität: Die „mittleren“ Museen verfügen über kunstwissenschaftliche Expertise und häufig auch über sehr bedeutende Depots, die sie fachmännisch betreuen und erforschen. Würde die mittlere Ebene entscheidend geschwächt, so gingen nicht nur diese Leistungen verloren, sondern mangels genügender Stellenangebote für kunstwissenschaftlich gebildete Fachkräfte wäre die Erhaltung dieser für die Kunstvermittlung essentiellen Kompetenz auf Dauer in Frage gestellt.

 

Und schliesslich ein dritter Punkt: Ein kultureller Wert, wie ihn die Kunstmuseen der „mittleren“ Ebene repräsentieren, wird in kontinuierlicher Arbeit über viele Jahrzehnte aufgebaut. Zerstören kann man ihn mit einem einzigen Budgetbeschluss, der vielleicht auf einer Konzeptentwicklung von ein oder zwei Jahren fusst. Ein solcher Entscheid ist in den meisten Fällen irreversibel: Mit der Schliessung ist die Existenz eines Museums gelöscht. Seine Bilder werden nur in Ausnahmefällen anderen Orts öffentlich zuglänglich bleiben. Die meisten verschwinden auf immer in Depots, einzelne gelangen in den Kunsthandel. Der Geist der Sammlung, das Wissen um die Werke verlieren sich. 

 

Die schlechte Finanzlage einer Stadt wie Winterthur wird sich irgendwann wieder bessern. Eine einseitig betriebswirtschaftliche Betrachtung der Museumslandschaft wird man nicht für alle Zeiten als der Weisheit letzten Schluss betrachten. Kunstschätze, wie Winterthur sie besitzt, gibt es nicht überall. Sie sind ein dauerhafter Wert, der sich nicht nur an Besucherzahlen ablesen lässt.

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