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Schatzkästlein II

Johann Peter Hebels Rationalismus ist von der freundlichen, nicht aggressiven Sorte. Er ist kein Weltbildzertrümmerer, sondern einer, der Verdüsterndes und Ängstigendes beiseite räumt. Wie er die Redewendung vom Teufel, welcher komme, wenn man ihn an die Wand male, interpretiert, das ist ein Muster aufklärenden, rationalen, den Menschen in die Verantwortung nehmenden Denkens. (S. 81f)

 

Es gibt nicht ein äusserliches Böses, das unwillentlich oder leichtfertig herbeigerufen werden könnte, so erklärt Hebel, sondern es gibt eine Versuchung, die Faszination des Bösen zu provozieren, zu nähren, mit ihr zu spielen – und ihr anschliessend den Überschlag ins Handeln nicht mehr zu verwehren. Hebel sagt es in einfachen Worten: „Willst du das Böse nicht tun, so denke nicht daran, wo du gehst und stehst, und sprich nicht davon, als wenn es etwas Angenehmes und Lustiges wäre.“ (S. 82)

 

Hebels Beweisführungen – etwa gegen die Meinung, der Maulwurf sei ein Schädling oder gegen die Astrologie – sind autoritativ und bestimmt. Da wird auf gesichertes Wissen verwiesen, ohne dessen Gründe und Quellen immer vorzuweisen. Er ist schliesslich der gelehrte Hausfreund, der solide Kenntnisse und verlässliche Wahrheitsliebe für sich in Anspruch nehmen kann. Dass er nicht vollends autoritär auftritt, liegt am dialogischen Gestus seiner Belehrungen. „Wie sieht’s jetzt aus?“ fragt er gern dazwischen, will heissen: Habe ich deine falschen Meinungen gelockert? Bist du etwas unsicherer geworden? Fängst du an, die Sache anders zu sehen?

 

Die Freude und das ästhetische Vergnügen am Wissen prägen das „Schatzkästlein“ auf Schritt und Tritt. Der Hausfreund zeichnet das Bild einer guten Schöpfung, einer wohlgeordneten und sinnreichen Welt. Dass auch Leiden, Bosheit, Verbrechen und Krieg herrschen können, geht aus seiner Sicht nicht auf das Konto des Schöpfers und der von ihm geschaffenen Ordnung, sondern kommt von der menschlichen Fähigkeit und Freiheit, vom Guten abzuweichen, aber auch von mangelnder Einsicht.

 

Krankheiten und Unglücksfälle, Schicksalsschläge und Naturkatastrophen sind bei Hebel im Innersten dunkle Geheimnisse. Sie heben das optimistische Weltbild nicht aus den Angeln. Vielmehr führen sie dem Betrachter die Beschränktheit seiner Vernunft vor Augen. Trotz seinem Realismus ist Hebel philosophisch noch ganz unerschütterlich.

 

Hebels moralischer Optimismus zeigt sich oft in seinen Kommentaren zu den Erzählungen. Jemand wird listig seiner Fehlhaltungen oder Gaunereien überführt und sieht sich nicht nur entlarvt und blamiert, sondern tut einen weiteren Schritt: Er zieht eine Lehre aus dem Vorgefallenen und ist dankbar, eine Einsicht mitzunehmen. Was für ein Menschenbild! („Das Mittagessen im Hof“, S. 57f)

 

Hebel war ein entschiedener Anwalt des Fortschritts. Seine Erzählungen zersetzen den Aberglauben, demaskieren Geistergeschichten, warnen vor Scharlatanen und Wundertätern. Spürbar lustvoll räumt er zur Seite, was selbstbestimmtem und vernünftigem Verhalten im Weg steht. Er plädiert für eine experimentierende, sich systematisch verbessernde Agrarwirtschaft. Denjenigen, die allem Neuen misstrauen und am Althergebrachten festhalten wollen, entzieht er elegant den Grund, auf dem sie sich so sicher glauben: „… unsere Väter und Voreltern haben lange und vielerlei versucht und guten Rat nicht verachtet. Manches ist misslungen, manches ist wohlgeraten und besser worden, und so können wir auch noch in Zukunft weiterkommen…“ (S. 95)

 

Der Hausfreund buchstabiert damaligen und heutigen Lesern die Perfektibilität der Welt vor. Alles kann und wird gut werden. – Wie weit sind wir entfernt von diesem Denken! Und zugleich rührt sie noch heute an, diese humane Haltung.

 

Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes (zitiert nach der Insel-Ausgabe)

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