Karl Ove Knausgård hat sein Leben in sechs dicken Bänden geschildert, und zwar im Norwegischen unter dem Titel „Min kamp“ – Mein Kampf – , der für die deutsche Übersetzung natürlich nicht infrage kam. Trotzdem ist der Originaltitel wichtig. Nicht nur hat Knausgård sein Leben immer wieder im Sinn des unheroischen Ringens und Zappelns als Kampf empfunden, sondern auch dessen literarische Verarbeitung ist im Roman als mühselige Eroberung des angestrebten Schriftstellertums dargestellt.
Immer ist es der Kampf mit sich selbst, der da gefochten wird, und bereits im ersten Band auch der mit dem Vater. In „Sterben“ setzt diese Auseinandersetzung mit der Pubertät ein und springt dann über etwa zwei Jahrzehnte hinweg zum Zeitpunkt von Vaters Tod. Das Buch statuiert so das erzählerische Verfahren des ganzen Romanprojekts, das nicht chronologisch vorgeht, sondern die Logik des Erinnerns übernimmt, indem es die Geschichten dann abhandelt, wenn sie im Leben wieder auftauchen.
Alle Rezensionen heben Knausgårds autobiographische Genauigkeit hervor, die einerseits vor Belanglosem und Banalem nicht zurückschreckt, andererseits aber auch die Personen – allen voran den Autor – unbarmherzig entblösst. Es gebe für jeden Leser den „Knausgård-Moment“ heisst es, nämlich den Augenblick, da er in dem Buch sich selber entdecke. Ja, dieser Effekt tritt wohl fast zwangsläufig ein. Er hat schlicht mit der Versuchsanordnung dieser gewaltigen literarischen Selbsterforschung zu tun. Die epische Breite der Darstellung liefert vermutlich sehr vielen Lesern (jedenfalls männlichen, europäischen, mittelständischen, heute etwa 45jährigen Lesern) Erzählmotive und Momente, bei denen ihre eigenen Reminiszenzen sich einklinken können. Zu diesem Effekt trägt auch die geradlinige, einfach gebaute Sprache bei, die eine grosse Direktheit, fast eine Gesprächsatmosphäre erzeugt. Sie überspielt die Zweifel, ob Erinnerungen in derartiger Genauigkeit und Vollständigkeit überhaupt möglich seien, und schafft einen Sog, dem anscheinend viele Knausgård-Leser erliegen.
Offensichtlich literarisch – und das heisst: künstlich, vom Verfasser mit gestalterischer Absicht geformt – sind die Dialoge. Sie können ja nicht wörtlich aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Und in vielen Dialogpassagen zeigt sich denn auch Knausgårds schriftstellerisches Können. Im übrigen aber habe er „Min kamp“ (das sind immerhin 3’600 Seiten in zwei Jahren) einfach runtergeschrieben und so gut wie gar nicht redigiert. Das sagt jedenfalls sein Übersetzer des vierten Bandes, Ulrich Sonnenberg, in „52 beste Bücher“ (SRF2 Kultur).
Die penetrant repetierte Meinung, der in solcher Direktheit steckende Wahrheitsanspruch bei Knausgård sei eine literarische Besonderheit oder etwa gar eine Sensation, widerspiegelt allerdings ein gründliches Missverständnis. Literarisches Schreiben bedeutet immer ein Ringen um persönliche Wahrhaftigkeit, ganz unabhängig davon, ob es sich fiktional oder autobiographisch äussert und egal, wie weit die Person des Autors im Text direkt exponiert ist. Insofern dürfte auch der Knausgård-Hype ein kurzlebiges Phänomen sein. Nicht, weil seine Bücher nicht gut wären (das sind sie durchaus), sondern weil sie mit ihrer rücksichtslosen Annäherung an dieses Leben eben gerade nicht die literarische Ausnahmeerscheinung sind, als die ihre Promotoren sie gern verkaufen.
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