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Überforderte Retter

Das Retten hat im politischen Vokabular einen Logenplatz bekommen. Notlagen forderten schon immer rettende Eingriffe. Feuersbrunst, Hochwasser, Seuche, Kriegselend, Hungersnot sind Extremsituationen, die Anteilnahme und Hilfe mobilisieren. Das aus dem Ruder laufende Klima hingegen ist ein neuartiges Phänomen. Es hat die Rettungsappelle globalisiert und auf Dauer gestellt. Um unsere Nachfahren vor katastrophalen Folgen der Erderwärmung zu retten, beschlossen die Regierungen 1997 das Kyoto-Protokoll, ein zwar lückenhaftes technokratisches Vertragswerk, aber immerhin mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit. Nach den Schockwellen der Lehman-Pleite 2008 wurden in zahlreichen Ländern systemrelevante Banken vor dem drohenden Kollaps gerettet. Ökonomische Notwendigkeiten vermischten sich dabei unentwirrbar mit diffusen Ängsten, die Finanzmärkte könnten als Stützen von Wohlstand und Fortschritt wegbrechen. Doch erst mit dem Ausbruch der Schulden- und Euro-Krise im Herbst 2009 nahm die politische Rettungsrhetorik so richtig Fahrt auf: Es werden immer wieder von neuem Länder, Banken und der Euro gerettet, Rettungsfonds geäufnet, Rettungsschirme aufgespannt und weitere Rettungsmassnahmen diskutiert, wie die Fiskalunion, eine europäische Bankenaufsicht oder zwingende Budgetvorgaben für die Euro-Staaten. Vieles davon ist Wunschdenken oder absichtlich vage gehalten. Die tiefen politischen Divergenzen werden mit Aktivismus und Diplomatie überdeckt.

 

Bei diesem Rettungsspektakel, das von Schuld, Verhängnis, Intrige und Heldentum bis zu unverschuldetem Leiden alle Ingredienzien des Dramatischen aufweist, sind wir im Nicht-Euro- und Nicht-EU-Land inmitten Europas zwar Unbeteiligte, aber nicht Unbetroffene. Wirtschaft ist so grenzenlos wie das Klima. Es wird auch uns nicht gutgehen, wenn Europa seine Probleme nicht meistert. Die positiven Wirtschaftsprognosen, die der Schweiz heute wieder attestiert wurden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir mit drin sind in den Verwerfungen des Kontinents. Die Rettungsversuche können auch für uns zum Drama werden.

 

Der Impuls des Rettens ist die Antwort auf überschaubare Katastrophen. Menschen aus einem brennenden Haus zu bergen ist möglich. Kann man auch ein verrutschtes Klima, eine taumelnde Ökonomie retten? Kann die menschliche Gemeinschaft bei globalen systemischen Schieflagen so eingreifen, dass die Gefahr gebannt wird? Mit ihrer Rhetorik des Rettens gibt die Politik vor, die Herkulesaufgaben zu stemmen. Es ist offensichtlich, dass sie sich damit überfordert und dass sie mit dem übernutzten Vokabular vielfach die eigene Handlungsunfähigkeit kaschiert.

 

Könnte Politik sich Ehrlichkeit leisten, so würden die Staatschefs und Eurokraten vermutlich davon sprechen, dass zu lange zu vieles falsch gelaufen ist, als dass die Folgen nun völlig abgewendet werden könnten. Statt Rettung würden sie versprechen, die schlimmsten Auswirkungen so gut als möglich abzumildern, und sie würden den Preis nennen, der dafür zu zahlen ist: weniger privater Wohlstand, langsamere Entwicklung, allenfalls verschärfte soziale und politische Spannungen – und das nicht allein in Griechenland, sondern auf dem ganzen Kontinent. Es würde wahrscheinlich helfen, unrealistische Erwartungen zu korrigieren, dem irgendwann Erreichten die adäquate Anerkennung zu verschaffen und in den Bevölkerungen Kräfte über das Normalmass hinaus zu mobilisieren.

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