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Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Renoir

Schon wieder eine Ausstellung, die ich mit Widerständen besucht habe. Erst kürzlich habe ich mich Jeff Koons ausgesetzt. Heute war ich im Kunstmuseum Basel, um die Renoir-Ausstellung zu sehen. Was sollte denn einzuwenden sein gegen Renoirs doch zweifellos schöne Malerei? Das habe ich mich auf der Fahrt nach Basel auch gefragt. Es hat, dachte ich, mit dem Gestus zu tun. Das Theatralische, das den Betrachter packen will, lässt mich kühl, bei Rubens genauso wie bei Tizian – und ähnlich bei Renoir. Ihre Bilder wollen beeindrucken, und sie sind stets Demonstrationen malerischer Meisterschaft. Die Hauttöne von Renoirs Akten werden der Bewunderung dargeboten, Lichter und Schatten der Gärten sind Kostproben seiner Virtuosität. In Verbindung mit Theatralik wenden sich solche Qualitäten ins Negative. Sie erscheinen als leere Hüllen, Konventionen ohne Spannung und Glut.

 

Die Schau im Basler Kunstmuseum beschränkt sich auf das Frühwerk und zeigt die Entwicklung des Malers bis zu den ersten impressionistischen Werken. Bohémien war Renoir entgegen dem Untertitel der Ausstellung kaum – abgesehen von einem anfangs ärmlichen Leben und der ungeregelten Beziehung mit seinem Modell Lise Tréhot, die er mit zwei Kindern sitzenliess. Er hat dies zeitlebens geheimgehalten und später mit Frau und Kindern den Familienpatron gegeben. Renoir strebte stracks auf ein bourgeoises Künstlerleben zu. Er scheint da wenig Hemmungen gekannt zu haben. So hat ihn sein kruder Antisemitismus nicht gehindert, sich vom jüdischen Kunsthistoriker und Bankiersohn Charles Ephrussi grosszügig fördern zu lassen (Edmund de Waal berichtet darüber in seiner Familiengeschichte „Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi“). Obschon moralische Vorbildlichkeit des Künstlers keine Bedingung ist für das Entstehen bedeutender Kunst, machen es diese biografischen Facetten nicht eben leicht, der Person Renoir unbefangen zu begegnen.

 

Die Basler Ausstellung spricht von einem Werk, das Doppelbödigkeit und Gespaltenheit in den Sujets aus der Pariser Bourgeoisie klarsichtig aufdecke. Ich habe in diesen Porträts aus besseren Kreisen keine eindringlichen Studien, sondern konventionelle Inszenierungen gesehen: die Männer gravitätisch, die Frauen versonnen. Brillant gemalt, zeigen sie manchmal eher die mangelnde Bereitschaft Renoirs zu einer engagierteren Sicht – und darin mehr von der Gespaltenheit des Künstlers als der Porträtierten.

 

Neben theatralischen, dem Schein verhafteten Bildern zeigt die Basler Schau aber auch grossartige Werke. Bei dem mit „En été“ betitelte Porträt der Geliebten hat Renoir 1868 eine so packende Intimität geschaffen, dass man beinahe das Gefühl hat, als Betrachter zu stören. Von 1871 datiert „Nature morte au bouquet“, ein in Farbgebung und Komposition modern anmutendes Stilleben. Raschelnder Sommer entströmt dem Bild „Femme à l’ombrelle dans un jardin“ (1875/76), in dem die gartenartige Landschaft zur Hauptperson wird. Höhepunkt der Schau ist für mich das Landschaftsbild „L’abreuvoir“ von 1873. Hier taucht Renoir ein ins impressionistische Sehen und malt das Erscheinen der Welt, malt sich frei von den Ansprüchen der Bohème und den Zwängen der Bourgeoisie. Das Bild hat diese „reale Gegenwart“, von der George Steiner geschrieben hat. Da ist kein Theater, nur grosse Kunst, auch nachts im dunklen Museum, wenn das Bild auf die Besucher des nächsten Tages wartet.

 

Bild: Pierre-Auguste Renoir, En été, 1868, Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Google Arts & Culture Project

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